Viktor Eduard Prieb - Literatur
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Meine Rezension
zum Roman "Heimat ist ein Paradies"
von Viktor Streck



Berlin, den 04.04.2007

Nun bin ich mit deinem Buch fertig! Ich werde versuchen, meine Eindrücke und Meinungen (keine Urteile!) zur Diskussion zu bringen. Die Diskussion kann beiderseits produktiv und bereichernd sein, denn wir scheinen sehr nahliegende Ansichten zu haben, wenn wir sie auch etwas verschieden vertreten.

Diese Ansichten betreffen vor allem Deutschland als das Land der Deutschen und unsere Heimat. Es begann bei mir ab den allerersten Tag hier, in Deutschland. Als wir im Urlaub das Begrüßungsgeld bekamen, war es für mich so überwältigend, dass ich fast weinen musste. Der Geldbetrag hatte kaum eine wirtschaftliche Bedeutung, umso mehr aber die moralische und geistige: Zum ersten Mal im Leben, in welchem du von einem angeblich deinem Heimatstaat andauernd verfolgt, bestrafft, entwürdigt und vernichtet nur dafür wirst, dass du Deutscher bist, wirst du von dem anderen angeblich dir fremden Staat für dasselbe begrüßt und sogar entlohnt! Dann begreifst du innigst auf der Stelle, dass diese Anderen Deine sind, die du endlich gefunden hast. Und plötzlich ist das dir unbekannte Land von diesen Anderen dein Land und deine Heimat sind, für die du ab sofort jede Zeit alles zu geben bereit bist.

Dieses Gefühl ist das Leitmotiv von der Überschrift an deines Buches, das du sehr schön, farbig und fühlbar rübergebracht hast. Da bewährt sich deine etwas altmodisch und emotional anmutende Sprache auch. Ob sie sich allerdings an anderen Stellen ebenso bewährt, schwer zu beurteilen. An den Stellen, wo du die pubertierenden Mädchen, aber vor allem Jungen mit schönen, strahlenden und sehr schnell weinenden Augen, mit langen Wimpern, schön geschnittenen, roten Lippen, zarten, zierlichen, sich bei jeder Gelegenheit ganz schnell ans Gesicht pressenden Händen und edlen Gesichtern bzw. Haltungen beschreibst, und zwar immer wieder dann, wenn es sich sogar um dieselbe Person handelt.

Mich hat dies jedenfalls etwas gestört, an die Liebesromane des XIX. Jahrhunderts wie die von Thomas Hardy erinnert, von denen man ganz schnell stumpfe Zähne kriegt. Dabei habe ich selber ähnlich wie du auch sehr romantische und erhabene Vorstellungen von der Liebe, wie du es aus meiner Poesie erfahren kannst. Ich vergöttere Frauen immer noch in ihrer zierlichen, aber auch willensstarken und geistreichen Gestallt als das höchste Geheimnis, das uns, Männer, motiviert, sich immer weiter zu entwickeln, und unserem Leben überhaupt noch einen Sinn macht.

Die Handlungen in einem jugendlichen Milieu von klugen und etwas rebellisch eingestimmten Gymnasiasten abspielen zu lassen, ist allein wegen der Hoffnung lobenswert, unter den selbigen deine Leser zu gewinnen, denn nur durch die Beeinflussung von intelligenten Jugendlichen kann etwas in der Gesellschaft verändert werden, was du geändert haben willst. Am besten definiert es die lustige Person in Goethes "Faust": "Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen; Ein Werdender (Jugendlicher) wird immer dankbar sein." Ich wünsche dir und unseren Jugendlichen auch von ganzem Herzen, das es auch trotz der oben geäußerten Kritik gut gelingt.

Dein Versuch, den wunderschönen, wunderklugen und wunderbelesenen deutschen Jungen aus Sibirien als einen Messias darzubieten, ist mächtig naiv und unglaubwürdig. Das Bild einen Wahrheitsverkünders und des Retters alles Deutschen hier in Deutschland, dem alle und seine Landsleute aus Russland sowieso verfallen und gleich folgen, entspricht leider nicht der Realität, abgesehen vielleicht von dem konservierten Deutschtum der alten Deutschen aus Russland.

So etwas wird von den einheimischen Deutschen als eine Frechheit empfunden und vehement abgelehnt! Dabei ist die Rede nur von deinem zu hochgegriffenen Versuch und nicht von unserer durch den sibirischen Ursprung im Voraus vorgeschriebenen Unmündigkeit. Als ich angefangen hatte, dein Buch zu lesen, war ich dadurch begeistert, dass sich meine tiefste Überzeugung bewahrheitet hat, aus der heraus ich auch mein Buch geschrieben hatte.

Erstens, mit dem Ausbruch des XXI. Jahrhunderts und sogar der III. Jahrtausend ist die Zeit gekommen, die Weltgeschichte (nicht nur die deutsche) bzw. alle Ungereimtheiten des vorigen Jahrhunderts und sogar ihre in den vorigen Jahrtausenden liegenden Ursprünge ohne politische Einflüsse und Bedenken neu und objektiv zu verarbeiten, wie es auch bei früheren Jahrhundertwechseln immer der Fall war.

Zweitens, was die deutsche Geschichte betrifft, sind die immer noch durch ihr übertriebenes Schuldgefühl unter der Erpressung und Beeinflussung von den anderen stehenden Einheimischen dafür noch nicht reif genug und noch nicht dafür bereit. Bereit und berechtigt sind dafür aber die Deutschen ohne diesen Schuldgefühlkomplex, die selbst gelittenen und leidtragenden Deutschen. Und das sind die Deutschen aus Russland!

Ob sie auch dafür reif und mündig genug sind, blieb für mich allerdings sehr fraglich. Ich fühlte mich deswegen verpflichtet, diese schwere Aufgabe zu übernehmen. Die Freude, diese Schwere mit den anderen Gleichgesinnten wie du zu teilen, und darüber, dass es solche überhaupt noch gibt, war das erste für mich sehr erhellende Gefühl beim Lesen deines Buchs.

Nur aus dem Grund, dass wir die gemeinsame Aufgabe auf unsere Schultern aufgeladen haben und einander unterstützen und helfen sollen, übe ich auch die Kritik an manchen Stellen. Ich tue es in der Hoffnung, dass sie positiv wirkt, dich nicht bedrückt, sondern dir vielleicht helfen würde, deine Leser bzw. Ansprechpartner leichter und schneller zu finden. Ohne sie wäre diese Aufgabe nicht zu erfüllen.

Dasselbe erwarte ich auch von dir bezüglich meines Buches. Vor allem erwarte ich die Kritik, die mir weiterhelfen kann. Zu dem oben gesagten habe ich mit meinem Buch, aber auch noch davor schon eine Menge Erfahrungen unter den Einheimischen gemacht. Du kennst ja die gängigen Standardsprüche der Einheimischen darüber, dass sie sich nicht als Deutsche verstehen wollen und am liebsten etwas Anderes als Deutsche gewesen wären. Einst setzte ich dieser blöden Koketterie in meiner Stammkneipe der anwesenden Einheimischen meine Deutsche Nationalität und meinen Stolz darauf entgegen. Daraufhin wurde meine Zugehörigkeit naturgemäß mit einer aggressiv prätentiösen Befragung in Zweifel gezogen:

"Dafür sprichst du irgendwie komisch Deutsch. Beherrschst du überhaupt so gut deutsche Sprache?"

"Die menschliche Sprache entstand ja nur als ein Verständigungsmittel! Du kannst mich doch gut verstehen? Nur die deutsche Sprache mit vielen Dialekten wurde zum Mittel, einen Fremden, meistens einen Feind in ewigen Kriegen zwischen den deutschen Ländern mit diesen Dialekten zu erkennen. Ansonsten beherrsche ich die Sprache gut genug, um auf Deutsch dichten zu können, und ich bezweifele es, dass du Deutsch auch so gut beherrscht!"

"Bist du dir der deutschen Abstammung so sicher?"

"Bis in die fünfte aus Württemberg stammende Generation tief! Weißt du es so genau, in welcher Generation deine Vorfahren womöglich nach Deutschland eingewandert waren? Dein Name klingt ja irgendwie komisch."

"Wie gut kennst du deutsche Geschichte, deutsche Kultur?"

"Aber selbstverständlich kenne ich die, vielleicht besser sogar als du! Ich glaube es zum Beispiel nicht, dass du mir gleich ein Gedicht von Goethe rezitieren kannst."

Nach diesem Interview hieß es plötzlich fast wütend und mindestens sehr gekränkt:

"Willst du etwa sagen, dass du ein besserer Deutscher als ich bist!!!"

"Ich wollte nur sagen, dass ich ein normaler Deutscher bin, was du übrigens deinen Beteuerungen nach gar nicht bist oder gar nicht sein willst, um dich jetzt plötzlich dadurch so gekränkt zu fühlen!"

Ein anderes Mal kam ich zu später Stunde in eine fast leere Kneipe, wo an der Theke ein schon ziemlich betrunkener Junge saß, der mich mit vernebelten Augen wahrnahm und fragte, was ich wegen meines Akzents immer gefragt werde, aber sehr gutmütig:

"Wer bist du und wo kommst du denn her?"

Ich antwortete ihm ruhig und ebenfalls gutmütig:

"Ich bin Deutscher aus Sibirien, dein deutscher Bruder also."

Er meinte dazu, sich fast entschuldigend:

"Du sprichst irgendwie komisch Deutsch, um mein deutscher Bruder zu sein!"

Daraufhin antwortete ich:

"Das macht nichts. Wenn du es deswegen nicht willst, mein deutscher Bruder sein, dann ist jeder in Berlin geborener Türke dein Bruder, der sogar Berlinisch sprechen kann!"

Der Junge wurde dadurch fast von seinem Hocker runtergehauen und wehrte sich vehement:

"Nö! Der nun bestimmt nicht!".

Er wurde durch so eine intellektuelle Anstrengung während dieser fünfminütigen Unterhaltung sogar sichtbar nüchterner. Schließlich sprach er mich wieder an:

"Ich habe so etwas noch nie gehört! Du kannst aber interessant reden." Danach unterhielten wir uns doch wie Brüder noch stundenlang weiter.

Noch ein anderes Mal saß ich in einer anderen Kneipe, wo der Barkeeper fast demonstrativ immer eine preußische Mütze und einen braven kaiserlichen Schnurrbart trug, eine typische preußische Schnauze also, und trank mein Bier. Auf einmal bekam ich von diesem Barkeeper ein neues Bier vor die Nase gestellt. Ich fragte ihn, was das heißen soll. Er sagte, dass der Mann auf dem anderen Ende der voll besetzten Theke eine Runde ausgegeben habe. Daraufhin flüstere ich ihm:

"Wenn die Männer mit dieser Runde fertig sind, gib ihnen eine von mir zurück".

Er belehrte mich daraufhin über das Übliche in solchen Fällen, dass es gar nicht nötig wäre usw. Ich belehrte ihn meinerseits:

"Doch! Weißt du, mein Vater, der Ex-Waffen-SS-Soldat, hat mich sehr streng erzogen. Zu seiner Erziehung gehörte es zum Beispiel, dass ich nie und niemandem etwas schuldig bleiben darf!".

Der Preuße versuchte, sein sehr zufriedenes Lächeln in seinen preußischen Schnauzbart zu verstecken, und antwortete:

"Alles klar!"

Als meine Runde rüber kam, waren alle und vor allem der vorige Spender sehr verwundert. Der Barkeeper musste ihnen laut und wortwörtlich meine Erklärung dazu abgeben. Nach meiner Runde ging der Spender fort, manche anderen gingen nachher auch. Diese schienen, auf seine Spenden angewiesen zu sein. Die restlichen Trinker versuchten, mich anzuquatschen und zur Ausgabe noch einer Runde zu provozieren. Als es damit nicht klappte, da ich ihnen nichts schuldig war, beförderte der Barkeeper sie sehr schnell und überzeugend hinaus. Er machte die Kneipe von innen zu und wandte sich zu mir:

"Ich würde gerne mit dir eine Runde reden! Ich stehe hier unter den Leuten den ganzen Tag, kriege aber selten die Gelegenheit mit einem interessanten Menschen vernünftig zu reden! Der vorige Spender ist ein Goldschmiede, hat sein Geld und gibt öfter solche Runden aus, um sein Recht dann zu genießen, herum klugzuscheißen, während die anderen, die Spendenabnehmer, ihm in ihrem ergebenen Schweigen in den Mund gucken dürfen. Die meisten von diesen anderen sind nur Penner, die alles einschreiben lassen und nur am Monatsende ihre Rechnung begleichen, wenn ihre Sozialhilfe dazu ausreicht."

Ich fühlte mich hinsichtlich dieser plötzlichen Wendung nicht sonderlich behaglich, blieb aber mit ihm zusammen unter der Bedingung, dass es auch weiter so gilt: Eine Runde gibt er aus, eine Runde ich. Er wiederum hielt meine Bedingung für einen Quatsch, denn das sei sein Bier und er müsse als Besitzer dieser Kneipe nicht so viel wie ich dafür zahlen. Ich wusste auch, dass es Quatsch ist, musste aber an meiner vorigen Vorstellung festhalten, sonst wäre sie unglaubwürdig. Wir saßen und tranken, und quatschten noch etwa zwei Stunden lang bis in die frühe Stunde.

Wie du merkst, finden alle Geschichten in Kneipen statt. Ja, dort eben, wo die berüchtigte Stammtische stehen, die Quellen der Meinungsbildung der Einheimischen! Davor habe ich genug Meinungen auch aus den höheren Gesellschaftsschichten wie Professoren erfahren, die nicht weniger stereotypisch naiv bis blöd und fremdfeindlich sind, wenn diese auch nicht so direkt und aggressiv wie in Kneipen geäußert werden.

Mein infantiler Professor wunderte sich ernsthaft, als wir mal mein Geburtstag im Labor mit, mit anderen Mitarbeitern und mit meiner Familie zusammenfeierten, die alles vom Sekt bis zu Mettbrötchen organisieren musste. Das war an der TU-Berlin nach unseren gerade mal zweieinhalb Jahren in Deutschland. Nach Unterhaltung mit unseren Töchtern wunderte sich der Professor:

"Wie kommt das, dass die Kinder so gut Deutsch sprechen und die Eltern nicht?"

"Na weil wir eben noch Kinder sind." – antwortete die ältere Tochter mit ihrer schlichten Weisheit, die eher von einem Professor zu erwarten wäre.

Der Professor war davon überzeugt, dass derjenige, der fehlerhaft Deutsch spricht, Gehirnschaden hat und kein guter Physiker sein kann! Er gab es mir auch unmittelbar zu verstehen, insbesondere nachdem ich experimentelle Ergebnisse ermittelte, die seiner Theorie nicht passten und diese sogar widerlegten.

Es ging um die von diesem Professor errechnete Theorie, die vor mir von einem Chinesen-Doktoranden durch manipulierte Experimente unterlegt worden war. Der "gute Physiker", ein ausgebildete Metallurg, der gar kein Deutsch und nur Englisch sprach, verschwand plötzlich nach meiner Erscheinung, ohne seine Promotion und ohne dem Professor Bescheid zu sagen, meldete sich bei dem Professor irgendwann aus Japan.

Ich habe manchmal das Gefühl, solche bizarre, in diesem Fall fast kriminelle Geschichten an mich heranzuziehen. Und das liegt bestimmt nicht an meinem Deutsch, denn da drüben, wo ich perfekt Russisch sprach, war es damit noch schlimmer!

Was mein Buch betrifft, die meisten meiner einheimischen Freunde und Bekannten waren dadurch einfach schockiert und empört. Die ersten Kommentare hatten mit dem Buch an sich fast gar nichts zu tun, sondern äußerten ihr Entsetzen darüber, dass ein zwielichtiger Deutscher mit seinem "komischen" Deutsch das zu tun wagt, was sich keiner von ihnen traut, in deutscher Sprache über Deutschland zu schreiben:

"Du kennst doch unsere Demokratie nicht!",

"Du kennst doch unsere Mentalität nicht!",

"Ich würde ja es auch nicht wagen, über die UdSSR zu schreiben, die ich gar nicht kenne!" und so weiter und so ähnlich.

Zum Buch selbst so etwas wie:

"Dein Deutsch ist schwer zu lesen und zu verstehen!".

Daraufhin habe ich einem nichts ahnenden Kollegen einen Aufsatz von in den 80-gern Jahren bekannten und von seinen Kontrahenten zu einem "blonden, kaltblauäugigen Nazi" abgestempelten Prof. Nolte mit der Bitte zugeschoben:

"Da habe ich noch etwas zum Publizieren geschrieben. Kannst du dies bitte lesen und sprachlich beurteilen?"

Die spätere Antwort war:

"Na sag ich ja, es ist schwer und fast unmöglich dein Deutsch zu lesen und zu verstehen!"

Der arme Nolte tat mir leid! Aber ihm habe ich darüber nicht berichtet, obwohl er bei mir um die Ecke wohnt. Andererseits verstand ich dadurch auch, warum Herr Professor Nolte damals nur beschimpft und abgestempelt und nur selten mit intelligenten Argumenten konfrontiert wurde.

Das alles ist eigentlich der Stoff für den zweiten, noch nicht fertigen Teil "Ihr und Wir" meines Romanes. Ich erzähle dir jetzt darüber, um zu zeigen, dass es hier nicht nur solche wie die ein paar oben geschilderten Kollegen, sondern natürlich auch viele Menschen gibt, die uns verstehen und bereit sind uns zuzuhören bzw. zu lesen, aber sie tun es nur dann, wenn wir durch unsere Ehrlichkeit und brüderlichen Liebe ihren Nerv treffen.

In deiner Szene mit dem Buchhändler behauptest du eigentlich das gleiche. Nur ist dabei dein junger Protagonist wiederum nicht sehr überzeugend. Er sagt die Wahrheit darüber, dass er kein Geld hat, und meint damit seine Schuldigkeit getan zu haben. Danach lässt er sich von den anderen bezahlen und bedienen. Ehrlichkeit ist meinetwegen eine der deutschen Eigenschaften und Tugenden, die mich so oft mit ihnen zusammenführte, Für mich als einen ehrlichen Deutschen ist er in manchen ähnlichen Szenen fast abstoßend!

Die absolute Wahrheit, die er aus der Kant'schen Ethik verkündet, gibt es in unserem Erkenntnisprozess nicht (abgesehen vom Gott selbst)! Das ist es, was uns auch der größte Agnostiker Immanuel Kant, lehrt und was ich selber aus der Wissenschaft weiß.

Die menschliche Wahrheit ist ihre Ehrlichkeit! Und die Ehrlichkeit bedeutet, wie du es auch schreibst, nach deinen Empfindlichkeiten zu leben. Nicht nur eine Tatsache als Wahrheit laut zu verkünden, wie z. B. "Ich habe kein Geld!", sondern nach dieser Tatsache und nach dieser Wahrheit auch zu handeln und zu leben!

Wenn ich kein Geld für mein Bier, für die Rosen, für das Taxi habe, verzichte ich auf das Bier, nicht aber aufs Gespräch, das auch ohne Bier zustande kommt, auf die Rosen und aufs Taxi! An der Stelle mit Rosen kokettiert dein Protagonist auch noch damit, dass er die Blumenverkäuferin ausgenutzt hat. Bei diesem Verzicht fühle ich mich auch gar nicht arm, wie es der Fall gewesen wäre, wenn jemand mein Bier bezahlt hätte. Ich fühle mich sogar reicher als diejenigen auch in deinem Buch fast mit Neid beschriebenen Armleuchter, die in ihren blauen Porsches rumfahren und ihren Arsch dafür hinhalten müssen. Meine Stellung dazu habe ich auch ganz deutlich in meinem Buch ("Über die Freiheit" und "Über die Genügsamkeit") bezogen. Ich weiß, dass du es auch so verstehst, nur irgendwie nicht gerade gelungen und glücklich in deinem Buch rübergebracht hast.

An manchen Stellen hatte ich das Gefühl, dass du trotz all deiner Liebe zu der deutschen Heimat, die Deutschen doch nicht besonders magst, indem du sie, heutige Otto Normalverbraucher in einer Verbrauchergesellschaft, sehr verachtend kritisierst. Die Kritik an Manches hier, in Deutschland, ist meinetwegen auch berechtigt, aber das ist ja das deutsche Volk! In ihm waren schon immer sowohl Otto Normalverbraucher als auch die Intellektuellen und Philosophen wie Immanuel Kant vorhanden. Man kann nicht aus der Liebe zum Land das Volk dieses Landes für seine Schwächen verachten oder gar wechseln wollen, oder durch Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen, weil es vom Gott abgewandert hat, wovon die Zeugen Jehovas gerade so träumen.

Auch in den Inquisitionszeiten gab es viele gottesfürchtige Menschen, die ihre Nächsten trotz der Zehn Gebote aus Gier nach ihrer Frau oder ihrem Besitz, oder aus Rache an die Inquisition verrieten und verkauften. Genauso taten es die sowjetischen Menschen zu Stalins Zeiten und die deutschen Menschen zu Hitlers Zeiten auch. Deswegen ist für mich dein großes Thema "Gott" bzw. "Religion" auch strittig.

Von den Religionsinstitutionen wurden in Gottes Namen viele Verbrechen auch hier in Deutschland, auch an unseren evangelischen Vorfahren und somit an den deutschen Landen, z.B. in dem Dreißigjährigen Krieg begangen, die sich nicht so sehr von Nazi-Verbrechen unterscheiden. Deswegen trauen ich keiner religiösen Institutionen und Autoritäten, die alles besser zu wissen meinen, sehne mich aber nach Gott, suche nach ihm in mir und nicht draußen. Wir können nicht unsere künftigen Aufgaben und Probleme mit alten Mitteln – sei es Religionsmittel wie Inquisition und käufliche Schuldscheine, sei es Nazi-Mittel – lösen. Wir müssen uns schon etwas Neues einfallen lassen!

Dieses Neue wäre es wie zu Kant'schen Aufklärungszeiten doch der alte Mensch selbst! Solange es um Ihn selbst geht, muss Er, auch als ein Bestandteil der Masse, lernen, die Verantwortung für sich selbst und für alles Seine höchstpersönlich zu übernehmen! Er muss sich selbst zum Führer und zum Intellektuellen, selbst zum Gott bilden und erheben, statt sich von denen oder von deren Vertretern verführen und zu lassen und mit totbringenden Bomben am Bauch nach dem himmlischen, von Jungfrauen überfüllten Paradies zu suchen!

Der Gott und der Teufel sitzen, wie ich es schreibe und wie es Goethe in seinem "Faust" andeutet, in jedem von uns und den Ausgang ihres Kampfes können wir nicht den anderen überlassen, solange wir keine Sklaven von diesen anderen sein wollen! Erst wenn jeder Mensch den Gott in sich selbst findet und nach ihm ehrlich lebt, haben wir, die Menschen, einen einzigen Gott, sind in ihm vereint und untereinander gleich, nicht mehr kirchlich gespaltet und feindselig entfremdet. Das gehört nämlich seit Jahrtausenden und bis heute noch zu unseren Problemen, die zu lösen sind! Dir ist es vor allem gelungen, das Niveau einer derartigen Diskussion so hoch zu setzen, wie hoch es zu setzen ist, um die Intelligenz jedes einzelnen Menschen für die bevorstehenden Herausforderungen zu trainieren und zu beanspruchen. Denn nur in seiner Intelligenz und nicht in seinen schönen und zierlichen Formen ähnelt ein Mensch dem Gott!

Jetzt bin ich erschöpft. Ich denke, dass wir in unseren weiteren Diskussionen über unsere Bücher noch viel mehr erörtern können!

Ich wünsche dir und deinem Buch nochmals von ganzem Herzen viele dankbare, anspruchsvolle Leser und sonstigen Erfolg!

Viktor Prieb

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