Viktor Eduard Prieb - Literatur
- Publizistik

Szenario für Demo von Russlanddeutschen am 28. August 2000 in Berlin

von Dr. V. Prieb




Sprache: Deutsch mit simultaner Übersetzung ins Russische

Bevorzugte Dislokation: Zusammenkommen am Alexanderplatz, Begrüßung der Teilnehmer und Durchmarsch über "Unter den Linden" zum Brandenburger Tor

Die Einführungsrede:
Historische Präambel
Diese Demonstration ist dem Andenken an alle Deutschen in der UdSSR gewidmet, die zu Opfer des Stalins Erlasses vom 28. August 1941 wurden. Der Erlass erschien nach zwei Monaten und einer Woche nach dem Ausbruch des Krieges zwischen der UdSSR und Deutschland. Er war eine Reaktion von Stalin auf die katastrophalen Niederlagen der Roten Armee an allen Fronten und auf den blitzartigen Vormarsch der Wehrmacht zu Moskau und an die Wolga. Nach Stalins Meinung solle dies eine präventive Maßnahme gegen Entstehung der „fünften Kolon-ne“ der Wehrmacht im eigenen Hinterland sein.

Nach diesem Erlass wurden alle Personen der deutschen Nationalität und ihre Familienangehörigen, mehr als 1,5 Millionen Menschen, ohne Ausnahme, nur nach dem Nationalitätsmerkmal von heute auf morgen präzedenzlos repressiert. Die deutschen Kolonisten an der Wolga und in Südrussland (die Ukraine) hatten ihr Hab und Gut in ein paar Säcke einzupacken und ihre während 150 Jahre durch Fleiß, Schweiß und Blut bewohnten Plätze zu verlassen. Sie wurden hinter den Ural deportiert und von dem Polarkreis bis zu Südgrenzen der UdSSR (Mittelasien) zerstreut. Alle arbeitsfähigen Männer wurden dabei von ihren Familien getrennt und in die Konzentrationslager (Trudarmee) zusammengetrie-ben, während alte Männer, Frauen und Kinder nach einem todbringen-den, mehrmonatigen Fahrten in Viehwagens auf neuen, oft menschen-leeren Orten ihrer Zwangssiedlungen abgesetzt wurden.

In Sibirien, beispielsweise, wurde das letzte Stück der Verbannungs-trecke auf den Lastschleppkähnen auf Obj flussabwärts in die Taiga und Tundra gefahren. Die Menschen wurden in Hunderten an das men-schenleere Ufer abgeworfen, mit ein paar Spaten und Äxten versorgt und auf einen Überlebenskampf hinterlassen. Nur Einzige überlebten. (Zeugnisse von Überlebenden). Hunderttausende haben diese zweite Umsiedlung mit ihrem Leben bezahlt.

Eine Schweigeminute zum Andenken an Gefallenen und Verstor-benen. Danach eine Trauermusik vom Blasorchester und das Chor-gesang der Trauerlieder von Russlanddeutschen über ihr tragisches Schicksal.
Anschließend folgt der Durchmarsch mit Transparenten und mit dem die Trauermärsche spielenden Blasorchester durch die Straße „Unter den Linden“ bis zum Brandenburger Tor, wo zwischen dem Bundestag und der russischen Botschaft die politische Kundgebung stattfindet.

Politische Präambel: (kann als Thesen zur Rede oder zu mehreren Reden bei der Kundgebung betrachtet und verwendet werden, wie die aus dem Kontext folgenden Parolen für die Transparente auch ver-wendbar sind).
Die russisch-deutsche Weltpolitik des vorigen Jahrhunderts hat zum Terror und zur Vernichtung der deutschen Kolonisten Russlands ge-führt. Antideutsche Stimmungen und antideutsche Politik begannen in Russland noch während des Ersten Weltkriegs in Jahren1914-1918. Ein Beispiel und Symbol der antideutschen Stimmung war die Russifizie-rung des deutschen Namens der Hauptstadt Russlands durch ihr Um-benennen von Sankt-Petersburg in Petrograd.

Eine Folge der antideutschen Politik war die Entfernung der deut-schen Kolonisten aus der 150 Kilometer-Zone an der westlichen Grenze Russlands. Dies betraf vor allem die deutschen Kolonien in Wolynien in der Westukraine. Diejenige Deutschen, die noch Bürgerschaften Deutschlands hatten, wurden in den Lagern interniert. Im Vergleich zu der Stalins präventiven Maßnahme kann man dies für eine Kleinigkeit halten.

Dies zeigt einerseits, dass der Zar Nikolaus der II. im Unterschied zu Stalin nicht vorhatte, die Hälfte Russland bis zum Ural aufzugeben. Andererseits, der Zar hatte wiederum im Unterschied zu Stalin keine Gründe, den deutschen Kolonisten nicht zu vertrauen, die zu den tüchti-gen Landbesitzern in riesigen früher wilden Steppengebieten wurden und Russland zur Kornkammer Europas machten.

Die russische Armee brauchte Brot und Pferde. Das alles bekam sie immer, noch seit dem Krimkrieg, reichlich aus diesen deutschen Kolo-nien. Der Zar wusste die Verdienste der Deutschen zu schätzen. Zum Stolze aller Kolonisten wurden diejenigen von ihnen, die vom Zaren für Verdienste vor Russland in den Adelstand erhoben wurden wie die Fa-milie Falz-Fein – der Gründer des Natur- und Tierschutzparks „Aska-nia-Nowa" Friedrich von Falz-Fein. Also, die Russlanddeutschen brauchten im 1914 keine „Befreiung“ seitens Deutschlands und hatten was zu verteidigen. Und sie taten dies. Trotz alledem war es eine Tragö-die, gegen eigenen Blutsbruder zu kämpfen.

Diese Tragödie kann durch eine einzige Episode des damaligen Krie-ges widergespiegelt werden. Nach einer blutigen Schlacht während Brussilows Offensive musste ein russischer Artillerieoffizier mit seiner Batterie vorrücken. Dafür brauchte er eine neue günstige Stellung zu finden und seine Kanonen an ihr einzuschießen. Er ging durch das von Toten und Verletzten überhäufte Schlachtfeld. Auf einer Stelle stieß er auf einen, in Bauch verletzten deutschen Offizier und fragte ihn:
„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“.
„Lassen Sie bitte Sanitäter schneller kommen. Ich sterbe.“ – antwor-tete der Verletzte und fügte dann hinzu:
„Sie sprechen Deutsch. Warum?“.
„Weil ich Deutscher bin“ – erwiderte der Offizier, ein Russlanddeut-scher. „Warum kämpfen Sie dann gegen Deutsche?“ – wunderte sich offen-herzig sein verletzter Gegner. „Weil ich Offizier der russischen Armee bin, und Russland meine Heimat ist“ – folgte daraufhin ruhige Antwort.
(Aus dem Tagebuch dieses Artillerie-Stabskapitäns).

Der Krieg war für die Russlanddeutschen mehr ein Bürgerkrieg als der andere, der nach der Revolution ausbrach und in dem sie weiter kämpften, nun auf der Seite der Weißen Garde, um das schon wieder zu verteidigen, was sie mit eigenem Schweiß und Blut bezahlt hatten und wofür sie keinem, außer sich selbst, etwas schuldig waren. Die beiden Offiziere konnten damals nicht wissen, wozu dieser sinnlose Krieg füh-ren wird, in welchem sie nur ihre Pflicht treu erfüllten, wie es sich soeben bei jedem Deutschen gehört. Sowohl in Russland als auch in Deutschland hat der Krieg zu Revolutionen geführt.

Die Revolution führte Deutschland zur Niederlage, zum Zerfall und zur Teilung und, als unvermeidliche Folge dessen, zum Zweiten Welt-krieg. Russland führte ihre Revolution zum Bürgerkrieg und zum kom-munistischen, zuerst zum leninistischen und dann zum stalinistischen Terror. Ein kleiner Teil der Russlanddeutschen emigrierte gleich nach der Revolution nach Deutschland. Man kann sie immer noch hier in Berlin und in der ganzen Welt begegnen. Der größte Teil versuchte, ihr Hab und Gut gegen die Roten im Bürgerkrieg zu verteidigen. Ein kleiner Teil von ihnen ging nach Deutschland mit den abziehenden deutschen Schutztruppen.

Der größte Teil war doch geblieben. Der weise Hintergedanke zu bleiben war (Christian Prieb – unser Großvater):
„Wir sind Bauern und pflegen Brot anzubauen. Und unser Brot braucht jedes Regime. Weswegen soll ich mein Land verlassen und weiß Gott wohin abhauen?“.

Keine Weisheit funktionierte aber im kommunistischen Irrenhaus. Ein Überfluss vom Brot wäre für die kommunistische Macht uner-wünscht, denn er hätte Menschen frei machen können. Hunger war die Basis für Machterhalt. Die deutschen Bauern, die Hauptbrotlieferanten Russlands, wurden nach dem Bürgerkrieg zugrunde gerichtet. Die nach der Neuen Ökonomischen Politik (NEP) erneut Auferstandenen wurden während der Kollektivierung zum zweiten Mal beraubt und zum ersten Mal den stalinistischen Repressalien ausgesetzt, in die Lager und in die Verbannung geschickt, aber immer noch innerhalb der europäischen Grenzen Russlands.

Wären die Russlanddeutschen im Jahre 1941 als „fünfte Kolonne der deutschen Wehrmacht“ in den Rücken der Roten Armee wirklich gefal-len? Es war ihnen nicht beschieden, die Antwort auf diese Frage zu er-fahren. Stalin wusste offensichtlich diese Antwort besser als sie selbst. Jedenfalls, als die Front von Stalingrad in Richtung Berlin rückte, wur-de diese Frage logischerweise bereits hinfällig. Der Stalins Erlass war es allerdings nicht geworden und blieb gelten. Die Russlanddeutschen blie-ben in ihren Lagern und in den Sondersiedlungen unter der Komman-danturaufsicht.

Sie waren sowie während des Krieges als auch nach dem Krieg „die Feinde des Volkes und Vertreter des Faschismus“ sogar für ihre Mitin-sassen von allen anderen Nationen, von denen es in den Lagern genug gab. „Sündenböcke“ für jeden sowjetischen Menschen und kein sowjeti-scher Mensch beneidete damals die Zugehörigkeit zur deutschen Nation und das Schicksal von Russlanddeutschen.

Transparent:

„Kein Vernichtungskrieg mehr gegen Deutsche und Deutschland von deutsch-russischen Böden“

Deutschland, das die deutschen Aussiedler aufnimmt, hat seinen Teil der Verantwortung für diese Politik, die uns dieses Schicksal bescherte, offiziell übernommen.

Die Richtlinie gebenden, allgemeinen Transparente:
«Wir freuen uns Deutsche unter Deutschen zu sein!»
«Wir sind da, aber Ihr müsst Euch nicht warm anziehen – wir sind doch nicht mehr in Sibirien!»
«Wir danken Dir unser Vaterland, dass Du endlich nicht nur durch Deine Kriege für uns da bist!»
«Wir waren gute Russlanddeutsche – wir werden noch bessere Deutsch-landdeutsche!»
„Herzlich eingeladene, nur noch nicht geliebte! (russisches Lied)“
«Liebes Vaterland, Du musst uns nicht lieben – wir sind gewöhnt, die Liebe zu verdienen!»

Die Versuche der Bundesregierung, die Aussiedlung der noch in Russland gebliebenen Deutschen zu unterbinden und sie auf ihren Ver-bannungsorten durch finanzielle Injektionen nach Russland wieder ein-zuwurzeln, ist ein Rückzieher, eine Weigerung diese Verantwortung wei-ter zu tragen und das Aussetzen der Russlanddeutschen dem Risiko ih-rer weiteren und endgültigen Vernichtung.

Der neue Terror und die Vernichtung treten desto früher ein, je mehr sich die Lebensbedingungen der Russlanddeutschen durch diese Finan-zierung von den armseligen Lebensbedingungen der Einheimischen un-terscheiden werden. Diesmal wird der Hass gegen die Deutschen durch Neid verursacht.

Der Neid entwickelte sich bereits während der letzten 10 Jahre allein dadurch, dass die Russlanddeutschen endlich die Möglichkeit haben und sie auch ergreifen können, sich von dem in Russland seit 1917 herr-schenden Durcheinander und Terror zu verabschieden, während die Russen dieses weiter über sich ergehen lassen und auslöffeln müssen. Die Neider haben sich auf einmal daran erinnert, dass wir gleichgestellte „Pechkollegen“ sind, mal eine „gemeinsame“ Heimat hatten und in den-selben Lagern saßen.

Sie haben bis jetzt das Einzige nicht begriffen: Die Russlanddeut-schen im Unterschied zu ihren russischen „Kollegen“ wurden zu diesen Lagern einzig und allein und alle ohne Ausnahme für ihre Nationalität verurteilt. Nach diesem Merkmal waren vielleicht nur noch die Tschet-schenen gelitten, aber auch erst nach dem Krieg. Die Tschetschenen wollen allerdings, wie wir es sehen, auch nichts mehr mit den Russen zu tun haben.

Wie dem auch sei, weder wir noch die Tschetschenen haben Recht, denn wir, nach Deutschland ankommend, erfahren erstaunlich, welcher Teil der sowjetischen Bevölkerung unter dem Terror und den Repressa-lien am meisten litt. Das sind „natürlich“ die sowjetischen Juden! Wir können darüber nur schwer urteilen, denn unsere Schicksale kreuzten sich in Sibirien kaum. Wie es aber aus der sowjetischen Geschichte be-kannt ist: Stalin versuchte mal wirklich die Juden zu verfolgen, die nach der Revolution die Machtkorridore des Kremls überfluteten. Kurz da-rauf starb plötzlich der Tyrann selbst bekanntlich.

Nichtsdestoweniger setzt Deutschland die 100-prozentige Umsied-lung der Juden aus Russland zum Ziel. Die einheimischen Deutschen haben ihre eigenen, spezifischen und sich von denen der Russlanddeut-schen unterscheidenden Verhältnisse mit Juden. Wir wollen uns deswe-gen nicht in diese Verhältnisse einmischen, wenn auch das hier von die-sen „Kontingentflüchtlingen“ reklamierte Leid der sowjetischen Juden, das Andenken an unseren Vorkommen – Opfer ihrer Repressalien – be-leidigen, denn diese Repressalien wurden schließlich auch nicht in gerin-gem Maße von diesen Juden angerichtet, von den Führern der Revoluti-on und des Aufbaus des Kommunismus, die den Konzentrationslagern und dem Terror von Hitler beispielhaft zuvorkamen.

Worüber wir aber sicher urteilen können, ist es die Tatsache, dass der Ausgang vor allem der Deutschen aus Russland nur 100-prozentig sein kann und muss.

Transparente:
„Hundertprozentiger Abzug der „fünften Wehrmachtskolonne“ der Russlanddeutschen aus der Ex-UdSSR!“
„Hört auf, das Kolonisieren Kasachstans von Deutschen zu beför-dern!“
„Wir sind zwar Brüder, aber wir wollen doch kein Kain-Abel-Spiel!“
„Moderne Kolonialpolitik oder Brüderverrat und –verkauf?“
„Es lohnt sich nicht, das neu einzupflanzen, was seit langem schon entwurzelt und am Boden zertrampelt ist!“

In Deutschland eingetroffen, übernehmen wir als Deutsche die an den Deutschen liegende nationale Verantwortung sowohl für seine vergan-gene als auch für seine heutige Politik. Durch unser Schicksal vermin-dern wir auch diese an den Deutschen liegende Verantwortungslast, denn nicht nur die Deutschen steckten die anderen Völker in die KZs und vernichteten sie dort. Die gleichen Deutschen saßen selbst und wur-den selbst in den gleichen KZs vernichtet.

Warum, nach Deutschland kommend, nehmen wir dann durch unsere staatlich verbrauchten Steuern und durch unser Schuften in Firmen-Zahlern auch noch an der Auszahlung von 10 Milliarden DM an die ehemaligen Insassen der deutschen KZs teil?

Transparente:
„Wir waren keine deutschen KZ-Aufseher, wir waren KZ-Sträflinge, weil wir Deutsche sind!“
„(10 Mrd. DM Auszahlungen/80 Mio. Bürger Deutschlands)x2.000.000 Ausssiedler=250 Mio. DM Schuldenerlass für Deutschland wegen der Deutschen-KZ-Insassen aus der UdSSR!“
„Eure 10 Milliarden minus unsere KZ-Jahrzehnte!“

Deutschland hat uns unsere Lager auch bezahlt. Warum eigentlich Deutschland und nicht Russland mit seinen Alliierten in diesem Krieg? Die einheimischen Deutschen halten uns wegen derartige Auszahlungen, die wir hier in Deutschland erhalten, für Schmarotzen. Wir schulden aber Deutschland nichts! Wir rentieren uns sogar für Deutschland trotz dieser Auszahlungen.

Wir hätten uns sowohl moralisch als auch finanziell noch mehr ren-tieren können, wenn die Bundesregierung uns offiziell in ihre Innen- und Außenpolitik miteingeschlossen hätte. Deutschland zahlte Milliarden für den Bau von Wohnungen in Russland für die abziehenden Offiziere beim Abzug des sowjetischen Truppenkontingents aus der ehemaligen DDR. Wir haben in Russland im Jahre 1917, im Jahre 1941 und jetzt bei unserer Aussiedlung ganze Dörfer und Städte von möblierten Häu-sern und Wohnungen „unentgeltlich“ zurückgelassen. Es hätte zum Ein-zug nicht nur dieser Offiziere, sondern der ganzen sowjetischen Armee gereicht!

Zwei Millionen Deutschen in der UdSSR haben mindestens 1/150 Teil der Militärindustrie, der Ausrüstung, der Atom- und Raumfahrt-technik und -technologie in der ehemaligen UdSSR eigenhändig abgear-beitet. Dies ist unsere Sozial- und Rentenversicherung! Russland ist ein elendes Land und keinem fällt es ein, unsere Entschädigung von diesem zu verlangen. Gleichzeitig zahlt Deutschland an Russland verrückte Summen für alles: für die Vernichtung von Atomsprengköpfen, für die Abschaltung von maroden Atomkraftwerken, für die in Deutschland hinterlassene Militärtechnik, für Beförderung ins Al der deutschen Sa-telliten mit „unseren“ Trägerraketen.

Statt unsere Renten und Eingliederungshilfen zu kürzen, sollte unsere Bundesregierung mit Russland zu handeln lernen, mit unserer mehrjäh-rigen zum Teil auch Zwangsarbeit in Russland und mit unseren dort zu-rückgelassenen materiellen Werten zu handeln.

Ob es zur heutigen deutsch-russischen Politik passt, ist eine andere Frage. Uns geht es schließlich darum, dass wir die Letzten sind, die für die Verarmung Deutschland verantwortlich gemacht werden können. Jetzt wird Deutschland wiederum die sowjetischen, hier in KZs während des Kriegs zwangsarbeiteten Menschen entschädigen. Das ist unser Geld! Wann entschädigt Russland uns für die Schinderei und Schände-rei, für die Verfolgung und Vernichtung?

Transparente:
„Wir sind keine Schmarotzen: Russlands Hab und Gut gehört zum 1/150 Teil uns – Russlanddeutschen, Bürgern und Steuerzahlern Deutschlands!“
„Jeder von unserer Regierung nach Russland ausgezahlter Pfennig ist Angriff auf unsere Sozial- und Rentenkassen in Deutschland!“
„Kürzt nicht unsere Renten, sondern die Sonderausgaben für Russ-land!“
„Wir schulden keinem etwas und vergeben unseren Schuldigen!“
„Was wir nicht vergeben, vergibt unsere Regierung auf unsere Kosten. Amen!“

Wir sind bereits da! Wir sind bereits in Deutschland und wir sind viele! Viele genug, um mit uns in der Politik Deutschlands zu rechnen. Wir sind Deutsche und die rechtmäßigen, von der Verfassung geschütz-ten Staatsbürger Deutschlands. Nichtsdestoweniger teilt uns die Bun-desregierung, die Verletzung der Verfassung in Kauf nehmend, in drei Sorten:
1. Sorte – Westdeutsche,
2. Sorte – Ostdeutsche und
3. Sorte – Russland- und andere –deutsche.



Und dies ist nicht nur Mentalität, dies sind, beispielsweise, unsere Renten mit dem Koeffizienten 0,6 oder Gehälter in den Ostbundeslän-dern mit dem Koeffizienten 0,8, im Vergleich zu Westdeutschen mit dem Koeffizienten 1,0.

Transparent:
«Alle Staatsbürger Deutschlands sind gemäß dem Grundgesetz gleich: 0,6=0,8=1,0!»

Wir haben die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, weil wir Deutsche sind. Wir erhalten die Eingliederungshilfe beim Eintritt, weil wir beim Eintritt zu den besitzlosen Staatsangehörigen Deutschlands gehören. Um diese Staatsangehörigkeit und diese Hilfe zu erhalten, müssen wir nicht einmal Anträge an das Bundesverwaltungsamt in Köln stellen. Noch am Ende des XIX. Jahrhunderts hat Kaiser Wilhelm der II. das Gesetz erlassen, nach dem alle Deutschen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstaat, automatisch Staatsangehörige Deutschlands seien. Das Gesetz hatte zwar die Kaisers Kolonialpolitik zu fördern, ist aber noch von keinem abgeschafft worden.

Wir müssen nicht um die Erlaubnis bitten, nach Deutschland zu kommen, und jahrelang auf die gnädige Erlaubnis von Beamten warten, die unsere deutsche Abstammung auf mehr als 60 Seiten des Aufnah-meantrags prüfen, uns den Sprachtesten unterziehen und uns oder unse-re wenn auch zum Teil nicht deutschen Ehegatten im Endeffekt als Aus-länder aufnehmen. Wir haben das Recht nach Deutschland zu kommen. Es sollte dafür ausreichen, unsere sowjetischen Pässe mit deutschen Namen und mit der berüchtigten 5. Zeile mit der Angabe derüber Natio-nalität z.B. vorzulegen.

Vor 10 Jahren galt so eine Prozedur sogar nach dem Spätaussiedler-gesetz, als ein eingetroffener Deutscher ein Formular auf zwei Seiten mit den Fragen über seine Abstammung auszufüllen hatte. Damals erhielt der Aufgenommene das Arbeitslosengeld statt der Sozialhilfe, das durch das deutsche Äquivalent unseres Gehalts in Russland berechnet wurde, und anschließend die Arbeitslosenhilfe. Wir sind als Deutsche nicht wei-ter degradiert während dieser 10 Jahre. Deutschland hat sein Geld ver-geuden und bekam plötzlich Geldmangel zu spüren. Deswegen stieg An-zahl der Antragsseiten bis auf 64 und die uns gezahlte Hilfe sank bis auf die Sozialhilfe, die unsere kurzfristig geltende Eingliederungshilfe in pauschal gesetzter Höhe von ca. 1000 DM im Monat ersetzte.

Uns geht es nicht ums Geld und um die Hilfshöhe. Wir wollen nicht von Hilfen reich werden. Wir sind gewöhnt, sich selbst und sogar die anderen zu ernähren. Geldmangel, wenn er offiziell als ein Argument geltend gemacht würde, hätte man rein menschlich verstehen und akzep-tieren können. Es ist allerdings nicht erlaubt in einem demokratischen Rechtsstaat, aus dem Geldmangel die geltenden Gesetze zu manipulie-ren. Und, wie wir es hier immer häufiger sehen, das Verfassungsgericht interessiert sich in seinen Entscheidungen für finanzielle Probleme der Regierung am wenigstens, wenn es eine Verletzung des Grundgesetzes ausfindig macht.

Darum geht es uns! Von diesem Geldmangel ausgehend manipuliert die Bundesregierung ohne jede öffentliche Auseinandersetzung die bis-her geltenden Gesetze und unsere Schicksale dadurch. Und dies ist das, was wir am wenigstens bereit sind zu verstehen. Wir werden wieder zum „Sündenbock“ der Nation gemacht. Diesmal für den Zerfall des sowjetischen Reiches, dafür, dass wir immer noch zu viele am Leben geblieben sind, für die Vereinigung Deutschlands – für alles, was Deutschland eine Menge Geld kostete und kostet.

In ein paar Jahren haben wir uns plötzlich in die Deutschen umge-wandelt, die nicht würdig oder nicht so ganz würdig seien, als Deutsche nach Deutschland zu kommen. Dafür dürfen wir aber als jemand ande-rer – als Ausländer wie ein Afrikaner z. B. – nach Deutschland kom-men. Wir freuen uns auch dafür und überlasten das Verfassungsgericht mit unseren Klagen nicht, denn wir wollen im Unterschied zu dem Afri-kaner in die Heimat unserer Vorfahren, in unser Vaterland.

Nur und ausschließlich nach Deutschland und nirgendwohin sonst. Auch nicht in sein Sozialsystem, das es auch in anderen Ländern Euro-pas gibt. Hier haben wir kein Heimweh. Jedem Afrikaner oder jedem der sowjetischen Juden ist es ja absolut scheißegal wohin, Hauptsache dorthin, wo es besser ist. Darin liegt unser wesentlichster Unterschied zu den in Deutschland lebenden Ausländern, die hier generationenlang an Heimweh leiden und ihren Glauben sowie ihre Nationalitätszugehö-rigkeit lobenswert pflegen, wie wir es in Russland auch taten, um unse-re deutsche Identität im fremden Lande zu bewahren.

Wir sind Deutsche, nicht weil es heutzutage angeblich günstig ist, und sich jeder, auch derjenige Afrikaner nach ein paar Jahren Leben in Deutschland, gerne zu einem Deutschen erklärt. Wir haben diese Natio-nalität nicht gewählt. Sie ist unser Kreuz, das wir immer trugen und weiter zu tragen haben.

Das eigene Kreuz zu tragen, war nie leicht. Nicht, als wir damals durch hiesige Umstände gezwungen waren, auszuwandern und ohne russische Sprache das Neuland des fremden Landes zu erschließen. Nicht, als wir durch politische Umstände zwischen Russland und Deutschland gezwungen waren, gegen unsere Blutsbrüder im Ersten Weltkrieg zu kämpfen. Nicht, als uns das fremde, aber nah gewordene Russland unseren Ackerboden wegnahm und uns verhungern ließ. Nicht, als wir für unsere Nationalität an die Wand gestellt und in KZs vertilgt wurden.

Auch jetzt nicht, wenn wir wieder mal ohne Sprache in das uns un-bekannt gewordene Deutschland einreisen. Unsere Sprache haben wir, die Nachkriegsgeneration von Russlanddeutschen, durch die gezielte Assimilationspolitik in der UdSSR nach dem Zweiten Weltkrieg fast verloren. Diese Politik war so erfolgreich, dass sie nur noch 50 Jahre brauchte, um uns fast zu Degradierung unserer Sprache und Kultur zu bringen, die wir während mehr als 150 vorigen Jahren heilig zu pflegen schafften. Aber immer hin – immer nur fast. Das ist nicht unsere Schuld und dies ist den deutschen Beamten sehr wohl bekannt, die unsere An-träge bearbeiten und uns an die Sprachtests verweisen.

Es tut weh, den heutigen Afrikaner nur vorzustellen, der an die Wand dafür gestellt würde, dass er sich plötzlich zu einem Deutschen erklärte oder blöderweise eine deutsche Frau heiratete. Es tut nicht we-niger weh, heute einen Deutschen aus Russland zu sehen, der von sei-nem deutschen Mitbruder hört: „Was bist du für Deutscher, wo du so schlecht Deutsch sprichst?“, während der deutsche Afrikaner von ne-benan, wenn er nur noch einen Versuch macht Deutsch zu sprechen, zu hören bekommt, „Oh! Wie gut du Deutsch sprichst!“

Und wenn ein in Berlin geborener Türke noch so gut Deutsch sprä-che, er war und bleibt für jeden Berliner ein Türke. Das ist nämlich der deutsche Nationalismus. Er sitzt im Blut. In unserem auch. Weil wir desselben Blutes sind. Weil wir, trotz allem uns durch unsere Nationali-tät zugefügten Leid, auf dieses Blut stolz sind!

Unsere 200-jährige Russlandepopöe ist in der geschichtlichen Hin-sicht nur eine kurze, wenn auch ereignisvolle und dramatische Episode mit dem traurigen Ende. Im historischen Zeitmaßstab ist es nur unsere kurze Abwesenheit in der Heimat unserer Vorfahren. Das waren unsere Urahnen, die Deutschen Lande während Jahrtausende schufen und den Stolz für das Geschaffene in ihr Blut einsaugten.

Wir können auch noch für das von Deutschen während eines knap-pen Jahrhunderts in Russland Geschaffene zusätzlich stolz sein. Es blieb uns auch nichts anderes übrig, als auf unsere Nationalität stolz zu sein. Vielleicht haben wir nur deswegen alles überlebt. Unsere Brüder hier, unsere heutigen Linguisten-Experten, haben anscheinend nach den zwei sinnlosen Kriegen und nach der von Amerikanern offiziell unter-nommenen Umschulung und Umerziehung von „perversen“ Deutschen diesen Stolz verloren. Genauso wie die Deutschen-Kolonisten, die Ame-rika statt Russland als Auswanderungsziel auswählten und jetzt einen großen Teil deren Bevölkerung bilden. Mehrere von ihnen änderten und englifizierten ihre Namen während des Zweiten Weltkriegs und wurden von Wölfen zu Wulfs. Wir haben unsere deutschen Namen behalten und jetzt sind wir zu Hause!

Von unseren hier in Deutschland nach dem Krieg geborenen Brüdern hören wir erstaunlich, dass ihre Nationalität ihnen gleichgültig sei und sie sogar gerne von jeder beliebigen Nationalität – bloß keine Deut-schen! – gewesen wären. Offensichtlich haben die Siegermächte sie doch umgeschult und umerzogen, indem sie die Deutschen überzeugten, dass ihre Nationalität für immer und ewig bekleckert und entehrt ist.

Wir hatten diese Psychokomplexe in Russland nicht. Wir haben sie auch hier nicht! Dies ist unser Vorteil und eine sichere Basis, auf der wir unsere Zukunft in Deutschland und mit Deutschland aufbauen. Hin-ter dem Ural geboren und so spät nach Deutschland angekommen, ha-ben wir genug Nachteile, die unsere Chancen für den Aufbau unserer Zukunft im Vergleich zu Einheimischen mindern. Umso besser müssen wir unsere Vorteile kennen und ausspielen, die wir zweifellos haben.

Wir sprechen bereits unsere deutsche Sprache und werden sie weiter sprechen, weil sie unsere nationale Sprache ist. Also, wir haben dann gleich zwei Sprachen, was bei jedem zivilisierten Menschen zum Reich-tum zählt. Wir waren Kolonisten und haben eine reichliche Umsied-lungserfahrung. Das erste, was zu dieser Erfahrung gehört, ist es unsere heute so gefragte Flexibilität und Mobilität sowie die Fähigkeit Tag und Nacht zu schuften.

Wir sind sowohl geistig als auch körperlich stark, weil wir die wil-deste unnatürliche Auslese hinter uns haben und die Schwachen von uns sind in dieser Auslese längst ausgestorben. Wir haben unsere Hei-mat gefunden, während viele der hier geborenen Deutschen sie in ihren Seelen verloren haben. Wir wissen, was dies bedeutet, ohne Heimat zu leben, und wir wollen sie unter keinen Umständen wieder verlieren. Dies bedeutet, wir tragen unsere Verantwortung für alles was in unserer Heimat geschieht. Dies ist auch das Leitmotiv unserer Kundgebung.

Es folgt brave, jetzt ohne Trauer, dafür aber voller Optimismus Abschiedsmusik und der Abschluss mit Erfolgs- und Glückwünschen an alle Beteiligten.


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